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02.08.2022
Ulrich Paul
Müller Erben, Bauwert AG, Weizmann Institut für Wissenschaften
Groß-Berliner Damm 80 bis Segelfliegerdamm, 12487 Berlin-Johannisthal

Groß-Berliner Damm 80 bis Segelfliegerdamm, 12487 Berlin-Johannisthal
Groß-Berliner Damm 80 bis Segelfliegerdamm, 12487 Berlin-Johannisthal

Pläne für neues Stadtquartier in Johannisthal vorerst gestoppt


Die Koalition hat noch Beratungsbedarf zu dem Vorhaben auf dem ehemaligen Flugplatz.


In der Wissenschaftsstadt Adlershof, die auf dem ehemaligen Flugplatz Johannisthal gewachsen ist, soll ein neues Stadtviertel mit rund 1800 Wohnungen und Gewerbeflächen entstehen. Das sieht der Entwurf eines Bebauungsplans vor, den Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag im Senat beschließen lassen wollte. Doch so weit kam es nicht, der Beschluss wurde vertagt. Wegen Widerstands in der rot-grün-roten Koalition, der sich unter anderem gegen den Abriss denkmalgeschützter Gebäude aus der Nutzungszeit des Areals als Flughafen richtet.


„Es haben sich noch Fragen im Zusammenhang mit dem Bebauungsplan ergeben, die jetzt zu klären sind“, sagte der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze. „Das werden wir gemeinsam tun.“ Insbesondere gehe es um den Umgang mit einer denkmalgeschützten Halle und den bezahlbaren Wohnungsbau. „Dass der Senat hierfür Zeit einräumt, ist zu begrüßen“, sagte Schwarze.


Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg wird deutlicher. Sie geht auf Distanz zu den bisherigen Plänen, die eine maßgebliche Bebauung des Areals durch den privaten Projektentwickler Bauwert AG vorsehen. „Der Bebauungsplan ist noch genauso schlecht wie vor zwei Jahren“, sagt Gennburg. „Die Senatsverwaltung muss da noch mal ran, und die Bauwert AG sollte dringend ihre überzogenen Renditeinteressen dem historisch bedeutsamen Denkmalensemble unterordnen“, fordert sie. „Es kann doch nicht sein, dass die erhaltenswerte Bausubstanz des ersten Flugplatzes einfach weggebaggert werden soll, weil wieder mal ein Berliner Bauunternehmen sich eine goldene Nase verdienen möchte.“


Linken-Abgeordnete fordert Änderungen in der Planung


„Wir dürfen nicht zulassen, dass der erste Flugplatz Berlins abgerissen wird und dann auch noch für ein überteuertes Quartier, das nur die Mieten in der Nachbarschaft hochtreibt.“ Dieser „wichtige Ort muss wiederbelebt werden. Die behutsame Entwicklung der alten Flughallen ist vor allem eine Chance für die Stadtgeschichte und für den Stadtteil, weshalb auch die Nachbarschaft in eine Überarbeitung der Planungen dringend einzubinden ist“, fordert Gennburg.


Der Flugplatz Johannisthal war im September 1909 als erster unternehmerisch geführter Flugplatz in Deutschland eröffnet worden. Die Nutzung für den zivilen Passagierluftverkehr endete allerdings schon 1923 mit der Eröffnung des Zentralflughafens Tempelhof. Von 1952 an wurde Johannisthal nicht mehr als öffentlicher Flugplatz genutzt, 1995 wurde er offiziell geschlossen. Zum tragischen Ende gehört, dass der Astronaut Reinhard Furrer und der Pilot Gerd Kademann bei einer Flugshow 1995 tödlich verunglückten – bei einer Kunstflugfigur.


Das neue Stadtviertel soll auf einem rund 214.000 Quadratmeter großen Areal zwischen Segelfliegerdamm, Groß-Berliner Damm, Gerhard-Sedlmayr-Straße und dem Landschaftspark Johannisthal entstehen. Das Areal wurde zwischen 1912 und 1918 als Werksgelände der Luft-Verkehrs-Gesellschaft (LVG) für den Flugzeugbau und anschließend industriell sowie militärisch genutzt. Laut Internetlexikon Wikipedia baute die LVG bis 1918 vor allem zweisitzige Schul- und Aufklärungsflugzeuge, darunter einen Zweisitzer mit schwenkbarem Maschinengewehr. Als Baudenkmale in dem Gebiet sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 13 Einzelgebäude und Gebäudeteile eingetragen, elf davon sind noch vorhanden.


Alles soll in fünf Minuten zu Fuß erreichbar sein


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände überwiegend durch den Volkseigenen Betrieb (VEB) Kühlautomat Berlin genutzt, Teilflächen von den Grenztruppen der DDR. Auf dem Grundstück Groß-Berliner Damm 80 wurde 1953 ein Gebäudekomplex errichtet, der dem Ministerium für Staatssicherheit als Büro- und Verwaltungsgebäude diente. Nach 1989 wurde der VEB Kühlautomat Berlin privatisiert. 1996 wurde der Betrieb vollständig eingestellt, seitdem findet nur eine untergeordnete gewerbliche Nutzung statt, wie aus dem Bebauungsplanentwurf  hervorgeht. Im Jahr 2002 wurde das Areal an eine jüdische Erbengemeinschaft rückübertragen, die während des zweiten Weltkriegs enteignet worden war.


Der überwiegende Teil des Geländes befindet sich heute im Besitz einer Kooperation aus der Bauwert AG und dem Weizmann-Institut für Wissenschaften, einem Forschungsinstitut mit Sitz in Israel. Ziel der Bauwert sei es, „ein vielfältiges, lebendiges und nachhaltiges Quartier zu errichten, in dem alle Bedarfe des täglichen Lebens innerhalb von fünf Minuten zu Fuß erreichbar sind“, erklärte ein Sprecher. Von den rund 1800 Wohnungen sollen circa 450 Wohnungen als mietpreisgebundene Unterkünfte, also als Sozialwohnungen, entstehen. 500 Wohnungen seien als weitere Mietwohnungen geplant, außerdem sollen 500 Eigentumswohnungen sowie jeweils circa 150 bis 200 Wohneinheiten für Senioren und Studierende errichtet werden.


Neben der Errichtung von Miet- und Eigentumswohnungen sehe das Konzept auch die Entwicklung von Büro- und Praxisflächen vor. Zudem seien Gastronomie- und Service-Angebote wie ein Friseur und eine Fahrradwerkstatt geplant. Auch ein Quartiersparkhaus mit Mobilitätszentrum, zum Beispiel für Car-, Bike- und Scooter-Sharing, gehöre dazu.


Sechs denkmalgeschützte Gebäude sollen vollständig abgerissen werden


Rund die Hälfte der Flächen soll nach Angaben der Bauwert an das Land Berlin verkauft werden. Berlin werde darauf öffentliche Straßen, soziale Infrastruktur, öffentliche Grün- und Freiflächen, geförderten Wohnungsbau sowie Gewerbeflächen errichten. Die übrigen Grundstücksflächen mit einer Größe von etwa 97.000 Quadratmetern werde die Kooperation aus Bauwert und Weizmann-Institut entwickeln. Die Bauwert beziffert das geplante Investitionsvolumen auf ihrer Seite auf circa 660 Millionen Euro. Baubeginn soll Anfang des Jahres 2025 sein, die Fertigstellung des Quartiers wird „für das Jahr 2031 avisiert“.


Von den elf unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden oder Gebäudeteilen sollen laut Stadtentwicklungsbehörde sechs Gebäude vollständig und ein Gebäude teilweise abgerissen werden. Eine Halle soll beseitigt und durch einen Neubau ersetzt werden, der sich in Größe und Material an der vorhandenen Bebauung orientiert und in dem vorhandene Bauelemente wiederverwendet werden. „Die Entscheidung zum Umgang mit der denkmalgeschützten Bausubstanz erfolgte in Abstimmung mit den zuständigen Denkmalschutzbehörden und beruhte auf deren denkmalfachlicher Einschätzung“, erklärte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.


Außer den wenigen denkmalgeschützten Gebäuden soll der 1953 vom Ministerium für Staatssicherheit errichtete Gebäudekomplex am Groß-Berliner Damm erhalten bleiben. Die übrigen Gebäude, die nicht denkmalgeschützt sind, sollen hingegen abgerissen werden. Grund hierfür ist laut Stadtentwicklungsbehörde „die insgesamt sehr schlechte Bausubstanz“.


Bauwert will an die Geschichte des Ortes erinnern


Die Bauwert versichert, dass das „industrielle Erbe und die Erinnerung an den Beginn der motorisierten Luftfahrt“ ein „zentraler Baustein im Quartierskonzept“ sein soll. Ziel sei es, „die bewegte Geschichte des Areals und die Identität des Ortes im neuen Quartier wiederzubeleben und erlebbar zu machen“. Hierfür sei zum einen der Erhalt eines Ensembles von „vier prägnanten Bestandsgebäuden am Segelfliegerdamm geplant, die im Zuge der Projektrealisierung denkmalgerecht saniert, umgebaut und neuen Nutzungen zugeführt“ werden. Zum anderen solle sich „die Geschichte des Areals auch in der Gestaltung der Außenanlagen widerspiegeln sowie durch einen öffentlichen History Point erlebbar gemacht werden“.


https://www.berliner-zeitung.de



Nachtrag vom 21.November 2022: KulturerbeNetz fordert Stopp des Bebauungsplan-Entwurfs 9-15a. Das KulturerbeNetz.Berlin fordert:

  • den Stopp des Bebauungsplan-Entwurfs in seiner jetzigen Form,
  • den Erhalt der trotz Zerfalls realistisch zu sichernden Hallen 1, 4 und 53 durch intelligente Nachnutzung,
  • eine behutsame, räumlich sowie funktional passende Weiterentwicklung des Bestandes, die das Gelände mit seiner Geschichte erlebbar macht.


Zum Denkmalschutz auf dem Grundstück siehe Denkmalliste, Nr.: 09045243
Segelfliegerdamm 1/45, Flugzeugfabrik der Luftverkehrsgesellschaft, 1912-16, um 1921 (D), Verwaltungsgebäude mit Produktionshalle (Gebäude 7, 7A), Fabrikhalle (Gebäude 6), Wohlfahrtsgebäude und Schmiede (Gebäude 5), Versuchshalle (Gebäude 52), Feuerwehr, Pförtnerhäuschen mit Einfriedung, Fabrikhallen (Gebäude 1-4)



Nachträge

21. November 2022
Kulturerbenetz fordert Stopp des Bebauungsplan, mehr...


13. Dezember 2022
Neue Chance für Denkmalschutz, mehr...