Immer wieder hat der Deutsche Werkbund in den letzten Jahrzehnten versucht, mit neuen Bauprojekten an die großen historischen Vorbilder der Werkbundsiedlungen anzuknüpfen. Die „WerkbundStadt“ sollte nun etwas ganz Neues und Besonderes werden, nämlich die historische Weiterentwicklung der Werkbundsiedlung zu einem vorbildlichen Stadtquartier. Geboren wurde die Idee 2014 von einem kleinen Kreis von „Werkbundlern“ um den damaligen Vorsitzenden des Berliner Werkbunds, den Architekten Paul Kahlfeldt. Auf seine Initiative entwickelten 16 Planer für das knapp 2,9 Hektar große, aufgelassene Tanklager in Berlin-Charlottenburg ein städtebauliches Konzept. 33 „handverlesene Architekten“ (Kahlfeldt) unterschiedlichster Stilprovenienz – von Brandlhuber bis Patzschke – beplanten 33 individuelle Parzellen mit 1100 Wohneinheiten. Einzelne Bauherrn sollten die aufgeteilten Grundstücke kaufen und nach den Entwürfen der WerkbundStadt-Architekten bebauen. Der Deutsche Werkbund Berlin, so die Idee, sollte die WerkbundStadt sowohl im Hinblick „auf die Umsetzung der Konzeption als auch auf vorbildliche Planungsabläufe“ steuern.
Allerdings stellte sich „die Selbstermächtigung der Entwerfer“ (Michael Mönninger) bald als Selbstüberschätzung der Ahnungslosen heraus. Denn der Eigentümer, der Hamburger Tanklager-Unternehmer Michael Lange, dachte gar nicht daran, die WerkbundStadt zu bauen. Das Label „WerkbundStadt“ war für ihn das Sesam-öffne-Dich für die Aufwertung einer seit Jahren durch Rechtsstreit mit dem Bezirk befangenen, immissionsbelasteten und ziemlich wertlosen Brache. Zusammen mit seinen Grundstücksnachbarn Mielke und Kemmer gründete Lange im Juli 2017 die 25-Tausend-Euro-GmbH „Am Spreebord Projektmanagementgesellschaft“, mit dem Gesellschaftszweck der „Initiierung und Förderung des Bebauungsplanes VII-3-2 Quedlinburger Straße 11–15 in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, insbesondere sämtlicher für die Erreichung des Planungsrechtes – Satzungsreife Bebauungsplan – erforderlichen Schritte“.
Zu diesem Zeitpunkt schien weder den Protagonisten des Projekts im Deutschen Werkbund Berlin, noch den Architekten wirklich klar zu sein, dass es den Eigentümern nicht um den Bau der WerkbundStadt ging, sondern um die Vermarktung einer Industriebrache. Die mit viel Enthusiasmus und Idealismus von den Architekten erarbeitete Planung und die Begeisterung des Bezirks für die WerkbundStadt dienten dabei als Gelddruckmaschine. Im Mai 2017 noch mahnte Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger: „Der potentielle Wertzuwachs der Grundstücke muss für das Projekt eingesetzt werden. Spekulative Kaufpreise engen den Bewegungsspielraum für ein späteres Planverfahren mit dem Anspruch einer modellhaften Stadtentwicklung ein.“
Der Erkenntnis folgten allerdings keine Taten. Im September 2017 wurde zwischen dem Bezirk, dem Deutschen Werkbund Berlin und der Projektmanagementgesellschaft der Eigentümer eine sogenannte „Zielvereinbarung“ abgeschlossen, in der – rechtlich unverbindlich – allgemeine Ziele und Regeln der Zusammenarbeit verabredet wurden. Belastbare Vereinbarungen zur Verwendung des „potentiellen Wertzuwachses“ für die Qualitätssicherung finden sich darin nicht. Stattdessen segnete der Werkbund die Verwendung der Marke „WerkbundStadt“ ab und der Bezirk sicherte das Bebauungsplanverfahren VII-3-2 „basierend auf dem Konzept der WerkbundStadt“ zu.
Mit diesem bemerkenswerten „Asset“ fand das Grundstück im Dezember 2017 neue Eigentümer, nämlich die Investa Holding GmbH aus Eschborn und die Baywobau Bauträger AG aus Grünwald in Bayern. Sie übernahmen auch die Beteiligungen an der Projektmanagementgesellschaft und damit die für sie so nützliche „Zielvereinbarung“. Nur wenige Monate später wechselten auch die Eigentümer der Nachbargrundstücke Kemmer und Mielke die Besitzer. Die Kölner Bauwens kaufte – zum Missfallen des Mitbewerbers Investa – das Grundstück Mielke zu einem Preis, den Investa-Vertreter als „völlig irre“ bezeichneten. Bauwens gehört Patrick Adenauer, dem Enkel Konrad Adenauers, der 1914 die große Kölner Werkbund-Ausstellung initiiert hatte. Wieviel Geld bei den verschiedenen Transaktionen geflossen ist, ist offiziell nicht bekannt. Noch im Juli 2017 hatte der Bezirksstadtrat mit dem Einsatz des „umfassenden bodenrechtlichen Instrumentariums“ gedroht, „wenn es zu keinen erfolgversprechenden, verbindlichen Vereinbarungen mit und zwischen den Beteiligten kommt“.
Aus den markigen Ankündigungen des Bezirksstadtrats folgte allerdings wieder nichts. Kaum ein Jahr später, im fortgeschrittenen B-Planverfahren, erklärte er dann, dass sich auch ohne den Werkbund „in der Sache nichts ändert“. Was der Stadtrat nicht erwähnte, ist die „Sache“, dass der Spielraum für eine „modellhafte Stadtentwicklung“ inzwischen nicht nur durch die spekulativen Grundstückstransaktionen, sondern auch durch die Politik selbst „eingeengt“ worden war. Im Rahmen des „Bündnisses für Wohnungsneubau“ hatte der Bezirk am 15. Februar 2018 mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen eine Vereinbarung geschlossen, nach der in Charlottenburg-Wilmersdorf bis 2021 Planungsrecht für circa 2000 Wohnungen geschaffen werden soll. Etwa die Hälfte davon – so der Vertrag – in der „WerkbundStadt/Quedlinburger Straße, mögl. WE: ca. 1030 WE“. Von der Knüpfung des Bebauungsplans an die Werkbund-Qualitäten und von „vorbildlichen Planungsabläufen“ ist keine Rede mehr. Es geht jetzt um Zahlen.
Die Zielvereinbarung zwischen Werkbund Berlin, Bezirk und Eigentümern ist endgültig Makulatur, als im Sommer 2018 Bezirk und Eigentümer einen städtebaulichen Vertrag abschließen, ohne den Werkbund und die Architekten auch nur zu informieren. Als dann im Sommer und Herbst 2018 alle Versuche des Werkbundes Berlin scheitern, die in der „Zielvereinbarung“ in Aussicht gestellte Beauftragung der Architekten mit der Weiterentwicklung der Planung bei den Eigentümern durchzusetzen, ist das Projekt WerkbundStadt am Ende. Weder will (oder kann) der Bezirk seine dem Werkbund gegebenen Zusagen einhalten, noch haben die Eigentümer das Geringste zu befürchten, wenn sie eine unverbindliche „Zielvereinbarung“ platzen lassen. Am 29. Oktober 2018 kündigen die Eigentümer die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Werkbund Berlin schriftlich auf.
Nachtrag vom 29.1.2019: Es tut sich was zwischen Spreebord und Quedlinburger Straße, siehe Veranstaltungsbericht zur Veranstaltung "Stadtlabor 2050 . Nachhaltige Stadtentwicklung im Quartier" vom 29. Januar 2019.