Es ist ein Sieg. Wenn auch noch kein endgültiger. Nachdem Ernst B., Eigentümer des Hauses in der Reichenberger Straße 73 in Kreuzberg, in den vergangenen Jahren immer wieder wegen Eigenbedarfs Mieter aus dem Haus geklagt hatte, wurde seinem Begehr diesmal nicht stattgegeben: Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wies seine Klage auf Eigenbedarf ab.
In der Wohnung, um die es in dem Verfahren geht, lebt seit 35 Jahren eine Frau mit ihrem Lebensgefährten. Vor genau zwei Jahren bekam das Paar die Kündigung. Es sollte bis Ende März vergangenen Jahres ausziehen. Der Grund: Eigenbedarf. Die 22 Jahre alte Nichte von Ernst B. sollte die Wohnung bekommen, nachdem kurz zuvor schon der Stiefbruder der jungen Frau in eine andere, leerstehende Wohnung gezogen war.
Doch die Mieter weigerten sich auszuziehen. Ernst B. klagte. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg gab nun den Mietern recht. „Die Klage des Eigentümers wurde abgewiesen“, sagt Cornelius Krakau, der Anwalt der Mieter am Montag der Berliner Zeitung. Es habe Zweifel an einem berechtigten Eigenbedarf gegeben. Mehr könne er nicht sagen, weil die schriftliche Begründung der Entscheidung gerade erst eingegangen sei und er sie zunächst mit seinen Mandanten besprechen müsse. „Für sie ging es schließlich um alles“, sagt Krakau. Er sei aber froh und zufrieden über das Urteil. Das Gericht sei seiner Argumentation gefolgt, dass die Eigenbedarfskündigung nicht rechtens gewesen sei.
In der vor Gericht erfolgten Anhörung beider Parteien Ende Mai dieses Jahres hatte Ernst B. erklärt, er habe die Wohnung seiner 22 Jahre alten Nichte vor zwei Jahren in Aussicht gestellt. Die junge Frau lebte seit ihrer Kindheit bei Ernst B. und seiner Frau. In einem dreistöckigen Einfamilienhaus mit offenbar sehr viel Platz. Seine Nichte habe eine Ausbildung bei der Feuerwehr beginnen und mehr Privatsphäre haben wollen, begründete der Hauseigentümer die Eigenbedarfsklage.
Die junge Frau, die in dem Verfahren gehört wurde, gab an, Onkel und Tante hätten ihr die Wohnung vor zwei Jahren offeriert. „So ein Angebot würde jeder annehmen“, erklärte sie vor Gericht. Zumal es in Berlin kaum bezahlbaren Wohnraum gebe. Auf die Frage der Richterin, was denn mit den Mietern geschehen sollte, die derzeit in der Wohnung lebten, sagte die junge Frau: Diese würden dann halt woanders hinziehen müssen. Die 22-Jährige konnte allerdings nicht hinreichend begründen, warum sie nicht kurze Zeit zuvor in die freigewordene Wohnung gezogen sei, in der nun der Stiefbruder lebt.
Bei der Anhörung waren rund 50 Menschen dem Aufruf der „Arbeitsgruppe Eigenbedarf kennt keine Kündigung“ gefolgt und hatten vor dem Amtsgericht gegen die Praktiken von Ernst B. protestiert. Denn es ist nicht die erste Eigenbedarfskündigung, die in dem Haus eingegangen ist. Recherchen der Berliner Zeitung hatten ergeben, dass es allein an dieser Adresse seit 2008 bereits vier solcher Fälle gab.
In keine der Wohnungen in der Reichenberger Straße 73, die wegen Eigenbedarfs gekündigt wurden, ist danach ein Mitglied der Familie B. eingezogen. Jedenfalls nicht dauerhaft.
Dieser Artikel erschien in ungekürzter Fassung am 30. Juni 2020 in der Berliner Zeitung:
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/sieg-fuer-langjaehrige-mieter-sie-sollten-ihre-wohnung-fuer-die-nichte-des-eigentuemers-raeumen-li.90382
Nachtrag
14. Mai 2021: Sieg in zweiter Instanz gegen Eigenbedarf von CDU-Politiker Ernst Brenning