Wir sind Anwohner*innen, Mieter*innen, Nachbar*innen rings um die Westendallee 77-91 in Berlin-Charlottenburg.
Die Wohnanlage aus den 1920er Jahren steht vor der Gefahr, durch ein Bauvorhaben der landeseigenen GEWOBAG unwiederbringlich zerstört zu werden. Unterstützen Sie uns, bevor städtebaulich (1), politisch (2) und auch stadtökologisch (3) unverzeihliche Fakten geschaffen werden.
1. Die Wohnanlage wurde in den 1920er Jahren im Zuge der Architekturbewegung Neues Bauen als Gesamtanlage mit Kleingärten errichtet. Städtebaulicher und sozialpolitischer Anspruch war es, dass jede Wohnung als Gegenkonzept zu den damals stark verbreiteten Hinterhöfen Licht, Luft und Sonne bekommen sollte. Des Weiteren wurde jeder Wohnung ein kleiner Mietergarten (80-100qm) zugeordnet, der in Zeiten der Inflation die Not durch Selbstversorgung mit Obst und Gemüse etwas mildern sollte. Seit 1995 steht die Anlage unter Denkmalschutz. In der Begründung zum Denkmalschutz vom 29.05.2000 heißt es abschließend: „Die Reichsbank-Siedlung gehört zu den herausragenden Wohnanlagen der frühen Nachkriegszeit in Berlin nach 1918.“ Auch die Expertengruppe des Denkmalbeirats Charlottenburg-Wilmersdorf empfiehlt eine Ablehnung der Bebauung der Mietergärten, „weil dadurch die vorbildhafte Konzeption der Einheit ihrer untrennbaren Bestandteile Wohnung und (Nutz-)Garten zerstört würde“. Wir fragen Sie sehr ernsthaft, wer sind wir Bürger*innen und Politiker*innen, wenn wir es zulassen, dass unser aller kulturhistorisches Erbe so schändlich behandelt wird und auf einem Denkmal gebaut werden würde? Vor allem, weil es auch um ein städtebaulich sehr wertvolles Erbe geht, welches für uns Bürger*innen einen hohen Mehrwert an Wohn- und Lebensqualität gewährt. Das war die letzten 100 Jahre so und das könnte auch die nächsten 100 Jahre so sein. Was für eine Tragweite! Wenn hier eine vorbildhafte unter Denkmalschutz stehende Wohnanlage mit einem Federstrich unwiederbringlich zerstört werden würde, hätte das mit Vernunft, aber auch mit Respekt und Verantwortung nichts mehr zu tun.
2. Leider unterliegt die Wohnanlage auch einer wechselvollen Geschichte als Immobilienobjekt. Als 1993/94 die Bendzko Immobiliengruppe die Anlage übernahm, soll sie bald darauf aus rein geschäftlichen Interessen die grundbuchliche Abtrennung des Grundstückes vorgenommen haben, schon damals mit dem Ziel ein Bauvorhaben umzusetzen, wozu es aber bis dato nicht gekommen ist. Die Mieter von damals wurden natürlich nicht gefragt und haben erst im Nachhinein davon erfahren. Im Jahre 2013 nun wurde das knapp 9000 qm große Parzellengrundstück im Rahmen eines Insolvenzverfahrens für ca. 75 000 Euro von der Firma Ostgrund Immobilien GmbH „als nicht überbaubare Erholungsfläche“ ersteigert. Für diese sogenannte beste Lage ein unglaublich niedriger Preis (ca. 8,50 €/qm). Aber es handelt(e) sich ja auch nicht um Bauland. Die Firma Ostgrund soll das Grundstück nun an die GEWOBAG für knapp eine Million Euro weiterverkauft haben. An dieser Stelle sei uns die Frage erlaubt, woher nahm der Firmeninhaber die Gewissheit, hieraus Bauland machen zu können, auch wohlwissend, dass hier seit 1995 Denkmalschutz besteht? Und ausgerechnet eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, von der man erwarten sollte, dass sie sorgsam mit dem Steuergeld von uns Bürger*innen umgeht bzw. dass sie ihre Geschäfte und Projekte an am Gemeinwohl orientierten Prüfkriterien ausrichtet, hat das Grundstück nun gekauft. Politik und Staat (Baubehörden) dürfen der Bodenspekulation hier keinen Vorschub leisten, indem eine Baugenehmigung unter dem Deckmantel der Wohnungsnot schnell und um jeden Preis „abgenickt“ wird, wie es über die Wohnungsbauleitstelle droht zu geschehen. Denn der Firma Ostgrund geht es nicht um Städte- oder Wohnungsbau, sie sorgt sich auch nicht um die Wohnungsnot von Studenten oder gar um das Gemeinwohl. Nein, hier geht es ausschließlich um monetäre Interessen. Und nur aus diesem einzigen Grund ist das Bauvorhaben überhaupt in der Welt. Leider hat wohl auch die GEWOBAG nicht geprüft, worauf sie sich hier einlässt. Nicht zuletzt lässt das Bauvorhaben der GEWOBAG keinerlei städtebaulichen Anspruch und absolut keine Verträglichkeit gegenüber den alten Bestandsbauten erkennen, an die zum Teil bis auf 12 m herangebaut werden würde. Das, was den Baustil der Architekturbewegung Neues Bauen auszeichnet -Vermeidung von engen Hinterhofverhältnissen- würde hier in seiner schlimmsten Ausprägung geschaffen werden. Ich möchte wirklich nicht polemisch werden, aber eigentlich ein Armutszeugnis für die verantwortlichen Städteplaner und Architekten, die nicht nur keine eigenen guten Konzepte haben, nein, sie zerstören auch noch Vorzeigearchitektur aus den 1920er Jahren, und das auf Kosten hunderter Bürger*innen und vieler Generationen.
3. Ressortübergreifend ist der Klimawandel mittlerweile für uns alle so allgegenwärtig, dass jeder vernünftige Mensch weiß, dass wir auf allen Ebenen und mit kleinen und großen Beiträgen gegensteuern müssen, um zu retten, was noch zu retten ist. Studien, Naturschutzverbände, Parteiprogramme, Beschlüsse auf Bundesebene und auch das aktuelle Klageverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland legen schon lange nahe und fordern zu recht, Stadtgrün und Freiflächen zu schaffen und in den Innenstädten versiegelte Flächen wieder zu entsiegeln. Warum will man hier eine hundert Jahre alte großartige Grünoase mit zum Teil sehr altem Baumbestand, welche auch für hunderte Anwohner*innen eine hervorragende Frischluft- und Kaltluftschneise darstellt, unwiederbringlich zerstören, um angeblich andernorts oder generell Stadtgrün und Freiflächen zu schaffen? Mit Vernunft, Intelligenz und Verantwortung hätte das nichts mehr zu tun. Diese Art von Grünfläche lässt sich nicht eben mal anlegen, es bedarf vieler Jahrzehnte bis ein solches Biotop gewachsen ist. Dieses äußerst schmale Hammergrundstück (ca. 400 m lang und nur 22 m breit) mit kleinen Parzellen, eingerahmt durch Bahntrasse und Bestandsgebäude, ist alles andere als ein Baugrundstück! Es darf nicht versiegelt werden!
Wir wagen zu hoffen, dass Sie und viele weitere die Sichtweise und Argumente von uns Anwohner*innen verstehen und vielleicht sogar teilen, dass es städtebaulich, politisch und stadtökologisch unverzeihlich wäre, hier ein Bauvorhaben umzusetzen.
Wie wir oben ausgeführt habe, ist das zentrale Kennzeichen der Architektur des Neuen Bauens die lichte und luftige Bauweise und sind die bewusst eingeplanten typischen Grünflächen, in unserem Fall die Mietergärten. Wenn diese vernichtet werden, dann ist das gesamte Denkmal zerstört und das Konzept des Neuen Bauens nicht mehr erkennbar. Übrig bleiben würde ein „Trauerspiel“ „moderner“ Städteplanung und Architektur der 2020er Jahre.
Für weitere Informationen und für Gespräche steht Ihnen die Bürgerinitiative Grüne Westendallee e.V. sehr gerne zur Verfügung.
i.V. Der Vorstand
Bürgerinitiative Grüne Westendallee e.V.
https://gruene-westendallee.de
Die BI Grüne Westendallee e.V. hat gemeinsam mit anderen Initiativen das „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ gegründet, welches aus 17 Initiativen von Blankenburg bis Westend besteht. Als erste gemeinsame Aktion fand am 05.06.2021 eine Demonstration am Brandenburger Tor für den Grünerhalt in Kiezen und gegen blinde Nachverdichtung statt.
Weitere Informationen:
https://www.gewobag.de/bauen-in-berlin/bauprojekte
http://westend-invest.de/projekt